Frauen gründen anders

Mit Herz und Verstand

Gründerinnen aus Bonn und dem Rhein-Sieg-KreisDie berufliche Selbstständigkeit von Frauen gewinnt in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Laut Mikrozensus waren im Jahr 2021 hierzulande 33,2 Prozent aller Selbstständigen Frauen. Der Gründungsmonitor 2023 der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wies für 2022 einen Frauenanteil von 37 Prozent bei Neugründungen aus – trotz Corona, Pandemie, Energiekrise und Inflation.

Damit machen sich allerdings immer noch deutlich mehr Männer als Frauen selbstständig. Mit dieser Unterrepräsentation bleibt jedoch ein enormes unternehmerisches und volkswirtschaftliches Potenzial ungenutzt. „Wir verzichten auch auf ein Extra-Wachstum, denn Gründerinnen sind – statistisch betrachtet – meist erfolgreicher als ihre männlichen Pendants“, betont Ralf Stoffels, Präsident der IHK NRW.

Frauen wagen nicht nur seltener den Schritt in die Selbstständigkeit, sondern sie gründen auch anders. Oft spielt für sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine zentrale Rolle. Zudem engagieren sie sich häufig in Segmenten wie Handel, Dienstleistung, Gesundheit, Soziales, Gastgewerbe sowie Kunst und Unterhaltung und starten anfangs meist als „Ein-Frau-Betrieb“. Unabhängigkeit (55 Prozent), selbstbestimmtes Arbeiten (79 Prozent), Frustration in einem Arbeitsverhältnis (55 Prozent) sowie der Wunsch, eigene Ideen zu verwirklichen (79 Prozent), motivierten laut des aktuellen IHK-Reports „Gründen und Nachfolgen durch Frauen in NRW“ Frauen dazu, ein eigenes Business zu gründen.

Knapp 22 Prozent der neuen Chefinnen starteten während ihrer Elternzeit. So wie Maximiliane Hebborn-Ravikumaran. Als gut ausgebildete Akademikerin war sie in der internationalen Welt des Managements zu Hause. Alles lief bestens – bis zu dem Tag, an dem sie entschied, Kinder zu bekommen. „Und damit bekam meine Karriere einen Knick“, erinnert sie sich. „In dieser Situation habe ich dann entschieden, meinen Traum von der Selbstständigkeit umzusetzen“, erzählt sie. Maximiliane Hebborn-Ravikumaran handelte mit ihrem Arbeitgeber eine Abfindung aus und nahm dieses Geld für ihre berufliche Selbstständigkeit in die Hand.

Maximiliane Hebborn-Ravikumaran, Gründerin von Poppeditzje

Neu war für sie der Gedanke an ein eigenes Unternehmen nicht. Mit der Geburt ihres ersten Kindes änderte sie jedoch die Richtung ihres Start-ups: Statt eines Betriebs für die Herstellung und den Vertrieb von Naturhaarkosmetik gründete sie mit „Poppeditzje“ (kölsch für kleines Kind) ein Unternehmen für vollwertige, natürliche und nachhaltige Baby- und Kindernahrung.

Eine Entscheidung, die sie nicht nur aus ihrer persönlichen beruflichen Erfahrung getroffen hat. „Nein“, sagt Hebborn-Ravikumaran. „Es macht mich wütend, dass Frauen immer noch stundenlang beschäftigt sind, wenn sie ihre Babys und Kinder vernünftig ernähren wollen. Entweder sie stehen ewig in der Küche und haben keine Zeit mehr für ihren Job. Oder sie müssen auf das zurückgreifen, was die Industrie anbietet.“

Also verlor die Businessfrau keine Zeit damit, um den heißen Brei herumzureden. Die Marketingexpertin begann gemeinsam mit ihrem Mann, einem Koch aus der gehobenen Gastronomie, beste Zutaten in Bioqualität zu kochen und in Gläschen abzufüllen. Mit dem eigenen Sohn saß zudem die ideale Testperson am Tisch. Ihm schmeckte es, seiner kleinen Schwester ebenso und dann löffelte der Nachwuchs von Freunden mit Begeisterung Linsenbolognese, Hirse-Karotten-Zucchini oder Couscous-Aubergine-Pute.

Im Mai 2021 stand Maximiliane Hebborn-Ravikumaran mit einem Verkaufswagen erstmals auf verschiedenen Wochenmärkten in Bonn und der Region. Heute läuft der Vertrieb über das Internet sowie über das Bad Godesberger Café „Bonnerie Nouvelle“. Und Hebborn-Ravikumaran hat gerade ein Luxus-Familienresort in Österreich davon überzeugt, seinen kleinen Urlaubsgästen nur noch Hochwertiges von „Poppeditzje“ aus dem Rheinland anzubieten.

Andere Wertvorstellungen

Frauen setzen ihrer Meinung nach bei einer Unternehmensgründung andere Wertvorstellungen um und pflegen einen anderen Diskurs. „Sie spezialisieren sich auf Nischenprodukte und bieten on-Point-Lösungsansätze an, um vor allem andere Frauen zu entlasten“, ist sie überzeugt. Zudem hätten sie einen anderen Umgang mit Mitarbeitenden, seien teamfähig und empathisch. 

Was sich heute anhört wie eine märchenhafte Erfolgsgeschichte, war jedoch ein harter Kampf. „Es gab viele Rückschläge“, sagt die junge Geschäftsfrau. Aber „Fehler gehören zu jedem unternehmerischen Pfad.“ In ihrem Fall war es die anfängliche Zurückhaltung. „Die Gründung meines Unternehmens erfolgte durch eigene Mittel. Ein Schritt, für den Männer häufiger und schneller externe Geldgeber finden.“ Aber so hat sie alles aus eigener Kraft geschafft. „Und das macht mich unsagbar stolz.“

Seojin Hinkelmann, Inhaberin des Familiencafés Glücksmomentum

Elan, gute Ideen und eine Spur Blauäugigkeit

„Glück hat viele Facetten“, lacht Seojin Hinkelmann. Sie hat im Frühjahr 2023 ihr Glück gefunden. Damals wagte sie mutig und voller Ideen den Schritt in die Selbstständigkeit. Mit ihrem Familiencafé „Glücksmomentum“ hat sie in Siegburg einen Ort geschaffen, wo Eltern und Kinder willkommen sind.

„Einfach war das nicht“, erzählt die Unternehmerin gut ein Jahr nach der Gründung. Zwar schwirrte schon nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter vor acht Jahren in ihrem Kopf die Idee, einen ganz besonderen Ort zu schaffen, wo junge Eltern und ihr Nachwuchs mit offenen Armen empfangen werden. „Das kannte ich aus Korea. Aber hier musste ich erfahren, dass man mit einem Baby zu Hause gefangen war“, erinnert sie sich.

Dabei ist ihr Konzept ebenso einfach wie genial. Während die Erwachsenen etwas Gutes aus der Küche genießen, krabbeln, brabbeln, klettern und toben ihre Kinder um sie herum. Neben den Bistrotischen steht das Bällebad, aus dem großen Legosteinsortiment kann sich jeder kleine Häuslebauer bedienen.

Mit viel Elan, guten Ideen und einer Spur Blauäugigkeit, wie sie sagt, ging sie ans Werk. „Ich hatte die Bürokratie unterschätzt“, blickt sie zurück. Die Stadtverwaltung musste einer Nutzungsänderung für das Ladenlokal zustimmen, und gemeinsam mit ihrem Mann Holger erstellte sie einen Businessplan für das Familiencafé.

Wirtschaftsförderung unterstützte Neueröffnung

Schnell erkannten beide jedoch, dass sie sich auf einem bisher unbekannten Terrain bewegten. „Zum Glück war mit Christian Pinnekamp die Industrie- und Handelskammer an unserer Seite“, lächelt Seojin Hinkelmann. Der Experte für Unternehmensgründung überarbeitete den Entwurf und erstellte schließlich ein professionelles Konzept für Finanzierung.

„Ohne die IHK wäre unser Projekt schon im Keim erstickt“, weiß die Unternehmerin heute. Und wieder hatte die 45-Jährige Glück. Die Siegburger Wirtschaftsförderung unterstützte die Neueröffnung im Rahmen des vom Land NRW initiierten „Sofortprogramms Innenstadt“, mit dem das Düsseldorfer Kabinett den Leerstand von citynahen Ladenlokalen bekämpft. Mehr als 50 Interessierte hatten ihren Businessplan und ihr Ideenkonzept dafür eingereicht, doch Seojin Hinkelmann bekam den Zuschlag.

Mit der Zusage musste sie im ersten Jahr nur einen Teil der Miete aus eigener Tasche bezahlen. Zudem half Pinnekamp der Gründerin dabei, eine Finanzierung bei der NRW.Bank zu erhalten. „Dadurch ist mir eine große Last von den Schultern genommen worden“, ist sie dankbar.

Heute weiß sie, dass die damaligen Sorgen und Ängste unbegründet waren. „Das Café läuft gut und mein Plan ist aufgegangen“, sagt sie. „Ich freue mich jeden Tag, wenn ich sehe, wie wohl sich meine Gäste fühlen.“ Nicht nur die Eltern, sondern auch die Kinder. Denn während an den Tischen die Großen Seidentofu, koreanischen Dampfkuchen, Kaffee, Shakes und vor allem den Austausch mit anderen genießen, wird unter den Tischen mit jeder Menge Spielzeug Geschicklichkeit, Ausdauer und Sozialverhalten trainiert.

Seojin Hinkelmann hat mit ihrem Mut zur Selbstständigkeit mittlerweile die ganze Familie infiziert. Während die 18-jährige Tochter ganz genau weiß, dass sie später ebenfalls einmal ihr eigener Chef sein will, schmiedet Ehemann Holger Hinkelmann bereits konkrete Pläne. Der Fahrzeugingenieur will sich mit einem Servicedienst für Oldtimerbesitzer selbstständig machen – natürlich mit Christian Pinnekamp an seiner Seite. „Die beiden arbeiten schon an seinem Businessplan“, verrät Seojin Hinkelmann stolz.

Hartes Pflaster Gastronomie

Gastronomie ist ein hartes Pflaster. Das musste Katja Schult schmerzlich erfahren. Noch härter war das Geschäft jedoch in Zeiten von Corona und Lockdown. Auch die Rückkehr zur Vor-Corona Mehrwertsteuer von 19 Prozent Anfang des Jahres macht das Leben der Gastronomen nicht gerade einfacher. „Krisen sind dafür da, bewältigt zu werden“, lässt sich die 36-Jährige ihren Optimismus dennoch nicht nehmen. „Wir haben es noch immer geschafft, wenn auch mit viel Verzicht.“

Katja und Tom Schult, Inhaber des veganen Restaurants ESSKALATION

Vor fünf Jahren eröffnete sie gemeinsam mit Bruder Tom das vegane Restaurant „ESSKALATION“ in Bonn. Zwar wusste sie, dass es nicht einfach sein wird, Fuß zu fassen. Aber das Auf und Ab, das sie in den ersten Jahren ihrer Gründung erlebt hat, war nichts für schwache Nerven.

Anfangs bediente sie mittags und nachmittags Gäste in ihrem Bistro am Bonner Talweg. „Mit dem Bistro habe ich meinen Traum verfolgt. Ich habe meine Foodie-Leidenschaft zum Beruf gemacht, um die pflanzliche Küche und ihre geschmackliche Tiefe und Vielfalt den Menschen näherzubringen“, erklärt Katja Schult.

Von dem Bistro in der Südstadt hat sie sich mittlerweile getrennt, um sich ganz auf das Lokal in Poppelsdorf (Clemens-August-Straße) sowie Signature-Produkte zu fokussieren. „Man muss sich verkleinern, um zu wachsen“, ist Katja Schult überzeugt.

Zusammenhalt und gute Arbeitsatmosphäre

Dabei startet das Unternehmen im August 2019 unter besten Voraussetzungen. Katja Schult kam aus der Finanzbranche, hatte lange in der Wirtschaftsprüfung gearbeitet und kannte sich bestens mit Businessplänen und Kalkulationen aus. Ihr jüngerer Bruder, der gerade sein Geografiestudium abgeschlossen hatte, brachte die Leidenschaft fürs Kochen mit.

„Ein angenehmes Ambiente, hochwertige Cocktails und eine exklusive vegane Speisekarte, das war mein Traum“, erzählt Schult. Ein Traum, um den sie lang gekämpft hat und den sie sich mit dem Restaurant in Poppelsdorf erfüllen wollte. Corona ist zwar mittlerweile Vergangenheit, aber die Inflation sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer müssen noch verdaut werden, sagt sie.

Deshalb wird sie jetzt das Cateringgeschäft weiter ausbauen. „Der Fokus auf Catering hat uns im vergangenen Jahr gerettet. Dieser Bereich bietet einen planbaren, sicheren Umsatz. Der normale Restaurantbetrieb ist dagegen unberechenbar.“ Vor ein paar Wochen startete sie in Poppelsdorf wieder ins Abendgeschäft mit veganem Fingerfood, Weinen und Cocktails.

Stolz ist sie, wie sie die Krise gemeinsam mit den Mitarbeitenden gemeistert hat. Natürlich gab es auch schmerzliche Eingriffe. „Doch bei allen Problemen haben wir immer eine offene Kommunikation gepflegt.“ Katja Schult hat einen guten Draht zu jedem im Team. „Ich bin ihr Ansprechpartner, wenn sie etwas auf dem Herzen haben“, ergänzt sie. Das liege sicher auch an ihrer Empathie.

„Frauen reagieren oft anders. Sie sind tendenziell teamorientierter und einfühlsamer. Für sie sind der Zusammenhalt und eine gute Arbeitsatmosphäre wichtig“, ist sie überzeugt. „Ich bin zuversichtlich, dass wir nach allen Problemen jetzt auf einem guten Weg sind.“ Wäre da nicht der Fachkräftemangel, der ihr ebenfalls seit Wochen zu schaffen macht. Denn für die Küche könnte sie noch Verstärkung gebrauchen.

Tanz und Musik für eine bessere Teamkommunikation

Ihr Lachen und ihre Lebensfreude nehmen jeden sofort gefangen. Merlis Sayoux Jeffery hat den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt – und zwar im Vier-Viertel-Takt. Die gebürtige Kubanerin studierte in Havanna Kommunikationswissenschaft, machte ihren Master in International Media Studies in Bonn und arbeitet bei der Deutschen Welle. Nebenbei gründete sie mit Baila Connect eine Plattform, die mit Tanzen Selbstbewusstsein und Lebensfreude vermittelt. Merlis Sayoux Jeffery ist zudem Kreissprecherin der Wirtschaftsjunioren Bonn/Rhein-Sieg (siehe dazu auch das Interview in Titel Extra).

Merlis Sayoux Jeffery, Gründerin von Baila Connect und Kreissprecherin der Wirtschaftsjunioren Bonn/Rhein-Sieg

„Wir nutzen Tanz und Musik, um eine offene und begeisterte Atmosphäre zu schaffen, die die freigesetzte Energie zur Verbesserung der Teamkommunikation nutzt. Durch Workshops, Team-Building-Maßnahmen und individuelle Gespräche tragen wir dazu bei, die Produktivität des Unternehmens zu steigern“, präsentiert sie ihre Idee. „Wir vereinen Teams, bauen Barrieren zwischen Mitarbeitern und Führungskräften ab und fördern eine tiefere Verbindung zu den gemeinsamen Unternehmenszielen“, beschreibt sie ihre Unternehmensstrategie.

„Unser Ansatz geht über das Physische hinaus und zielt darauf ab, eine Kultur der Offenheit, des Vertrauens und des Miteinanders zu etablieren. In einer Welt, die von Digitalisierung geprägt ist, bleibt die zwischenmenschliche Verbindung der Schlüssel zum Erfolg und zum wertvollsten Vermögen eines Unternehmens“, erklärt sie.

Familie und Beruf so gut wie möglich vereinbaren zu können, ist eine wichtige Voraussetzung für Frauen, die planen, ein Unternehmen zu gründen oder zu übernehmen. Laut einer aktuellen IHK-Studie wünschen sich viele Befragte eine bessere Vereinbarkeit am Unternehmensstandort, etwa in Form von besseren Betreuungsmöglichkeiten, mehr Netzwerkangeboten und mehr Unterstützung etwa von anderen Unternehmerinnen.

„Die Untersuchungsergebnisse zeigen deutlich den Zusammenhang zwischen Gründungsneigung und der Vereinbarkeit von Familie und Selbstständigkeit bzw. Beruf. Will man das Gründungspotenzial von Frauen voll ausschöpfen, muss die Vereinbarkeit verbessert werden, es müssen flexiblere Lösungen geschaffen werden, die eine Kundenbetreuung auch über den Nachmittag hinaus ermöglichen“, fordert Dr. Nikolaus Paffenholz, Abteilungsleiter Unternehmensservice der IHK Düsseldorf und Fachpolitischer Sprecher für Existenzgründung und Unternehmensförderung in NRW.

Von Gabriele Immenkeppel, freie Journalistin, Bonn